Diabetes-Patienten können einatmen
Längst läuft bei Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes, die insulinpflichtig sind, nicht mehr alles strikt nach entbehrungsreichem Diätplan: Jedes Nahrungsmittel ist zunächst einmal erlaubt, zur gemütlichen Teestunde am Nachmittag darf durchaus auch einmal ein Keks verspeist werden. Das Motto lautet heute, die Behandlung den Lebensumständen anzupassen und nicht umgekehrt. Die Lebensqualität des Patienten soll so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. Entsprechend wird insbesondere bei Typ-2-Diabetes-Patienten versucht, zunächst mit einer Umstellung des Lebenswandels und Tabletten die notwendige Blutzuckerkontrolle zu erreichen, ohne dem Körper sofort Insulin zuführen zu müssen. In so manchem Fall jedoch wird diese Therapieform weitergeführt, obwohl bereits eine Insulintherapie nötig wäre. Ein häufiger Grund: die Injektion.
Die Insulinhürde erfolgreich nehmen – Lebensqualität bewahren
"Wenn Sie einmal hochrechnen: Ein Patient, der zehn Jahre Insulin spritzt, hat etwa 20.000 Injektionen hinter sich", beziffert Dr. Ralph Achim Bierwirth, Facharzt für Innere Medizin und Diabetologe, die Situation. "Dass das die Lebensqualität einschränken kann, steht außer Frage." Seit Jahren forscht deshalb die Industrie nach alternativen Verabreichungsformen, die die Bereitschaft des Patienten zu einer Insulintherapie erhöhen. Inzwischen besteht die Möglichkeit, Insulin zu inhalieren und dem Körper dadurch ebenso das benötigte Hormon zuzuführen wie mit der Spritze.
Gerda Rebensdorf aus Hamburg kommt mit dem so genannten inhalativen Insulin sehr gut zurecht. Die 71-jährige Diabetes-Patientin (Typ-2) freut sich, dass sie mit dem unauffälligen Inhalationsgerät eine Injektionstherapie vermeiden kann. Der Inhalator ist kaum größer als ein Brillenetui und besteht aus einer durchsichtigen, ausziehbaren Kammer und einer speziellen Vorrichtung, die als Insulin-Freisetzungs-Einheit bezeichnet wird. Mit ihrer Hilfe wird in der Kammer eine sichtbare Wolke aus Insulin erzeugt. Dieses Aerosol wird mit einem langsamen, tiefen Atemzug inhaliert. "Dass ich künftig Insulin benötigen würde, war für mich schon ein weiterer ernster Schritt in meiner Erkrankung", erinnert sie sich. "Da schwirren einem tausend Gedanken im Kopf herum. Nicht nur, dass ich Bedenken hatte, mich selbst spritzen zu müssen, ich müsste es je nach Situation auch in aller Öffentlichkeit tun. Das wäre mir schon sehr unangenehm gewesen." Die Möglichkeit, das Insulin zu inhalieren, hat ihren Schritt zur neuen Therapie um keinen Tag hinausgeschoben. Studien bestätigen dem inhalativen Insulin dabei eine ebenso gute Blutzuckerkontrolle wie der herkömmlichen Insulintherapie. Allerdings war die Zufriedenheit der Studienteilnehmer mit der neuen Therapieoption weitaus größer.
Folgeschäden vermeiden
Das Wohlbefinden und die damit verbundene konsequente Bereitschaft zur Therapie sind gerade für Diabetiker lebenswichtig. Ihr Blutzuckerspiegel muss dauerhaft im Lot bleiben, denn sonst drohen zahlreiche Folgeerkrankungen, angefangen bei Gefäßerkrankungen über Nervenschäden und Sehstörungen bis hin zu Herzinfarkt und Diabetischem Fuß. In Deutschland weisen derzeit mehr als ein Drittel der über 5 Millionen Patienten mit Typ-2-Diabetes eine unzureichende Blutzuckereinstellung auf. Die neue inhalative Therapieoption bietet die Chance, die Bereitschaft zu einer notwendigen Insulinbehandlung zu erhöhen.