Blutzucker durch Blick ins Auge messen

Blutzucker durch Blick ins Auge messen

Bis zu sieben Mal am Tag müssen insulinpflichtige Diabetiker, in Deutschland sind das eine Million, ihren Blutzucker messen. Der Pieks an der Fingerkuppe ist lästig, unangenehm, erfordert Selbstdisziplin und jedes Mal tropft Blut. Dazu kommt die Insulinration, die ebenfalls zum großen Teil durch die Haut gespritzt wird.

Damit soll in absehbarer Zeit Schluss sein, falls sich Insulin-Tabletten und Sprays bewähren und durchsetzten. Was dennoch viele Diabetiker vom eigentlich erforderlichen Insulin abhalten wird, ist die Vorstellung von der traktierenden Blutzuckermessung, wissen erfahrene Diabetologen. Die Industrie hat auf diese natürliche Hemmschwelle reagiert. Erhältlich sind beispielsweise "unblutige" Systeme, die - einmal implantiert - die Zuckerkonzentration im Körper messen und den Wert an die Außenwelt übermitteln. Andere Systeme messen den Zucker durch die Haut. Beide sind auf dem Markt verfügbar, obwohl sie nach Meinung der Ärzte ihren Zweck nur unzureichend erfüllen.  Eingepflanzte Glukosesensoren werden innerhalb weniger Tage von Narbengewebe eingeschlossen und fallen teilweise aus, und die Hautmessungssysteme reagieren überempfindlich auf Temperatur und Feuchtigkeitsschwankungen und haben nur eine geringe Eindringtiefe. Doch warum mischt sich ein Augenärzte ein. Ganz einfach: Schlecht eingestellte Diabetiker tragen ein hohes Risiko an Folgeerkrankungen. Eine davon ist Blindheit. Immerhin erblinden in Deutschland jährlich 7000 Menschen aufgrund einer Diabetes.

Doch wer Kritik übt, sollte auch über Alternativen nachdenken. Das tut Dr. Schrader seit einigen Jahren. Mit Erfolg. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert ein Projekt, das er gemeinsam mit Prof. Dr. Wolfgang Kiefer vom Institut für Physikalische Chemie durchführt. Am Ende soll ein Verfahren stehen, das Diabetikern die Zuckerkonzentration durch einen "Blick" ins Auge verrät. Sie nutze dabei den Umstand, dass Zukker im ganzen Körper verteilt ist. Auch in der Flüssigkeit der vorderen Augenkammer. Dort ist eine Besonderheit beobachtetet worden: Steigt die Blutzuckerkonzentration im Körper, dann steigt sie mit zeitlicher Verzögerung von 30 bis 50 Minuten auch in der Augenflüssigkeit. Strahlt man nun Infrarot-Licht ins Auge, so wird dieses von allen dort vorkommenden Stoffen reflektiert. Über ein Prisma werden die reflektierten Strahlen spektral zerlegt. Jeder Stoff, auch Zucker hat dabei sein eigenes Wellenmuster, seinen eigenen "Fingerabdruck". Das Verfahren ist als Spektralanalyse schon lange bekannt. Ist nun das Wellenmuster einer normalen Konzentration bekannt, lässt sich durch Datenvergleich herausfinden, ob die gemessene Konzentration höher oder tiefer liegt. Um ihr System zu eichen, messen Dr. Schrader und Prof. Dr. Kiefer zunächst doppelt. Das heißt, die Blutzuckerkonzentration wird über den klassischen Pieks bestimmt, und mit dem Muster der Spektralanalyse verglichen. Mit Abweichungen von 15mg/dl nach oben und unten funktioniert das System bereits im Bereich des Normalzuckers. In den kommenden Zeit wird nun geeicht, kalibriert und verbessert. Und nach und nach wird auch verkleinert. Denn derzeit füllt der Aufbau aus Laserdioden, Computern und Kühlaggregaten noch einen ganzen Raum aus. "Es wird noch Jahre dauern, bis das System in einem handlichen Gerät Platz findet, das der Patient selbst bedienen kann", bleibt Dr. Schrader realistisch. Das Warten ist aber eine Tugend der Diabetiker. Denn seit Jahrzehnten schon werden ihnen "in Kürze" unblutige Messsysteme versprochen. Wenn die Würzburger erfolgreich sind, dann stünde künftigen Diabetikern ein Gerät zur Verfügung, das zwar für jeden Einzelnen angepasst werden muss, ähnlich wie ein Hörgerät, das aber hohe Marktchancen hat. Denn die Zahl der Diabetiker steigt. Sind es derzeit fünf Millionen, so rechnen Statistiker mit zehn bis 15 Millionen im Jahr 2015. Ihr System haben Dr. Schrader und Prof. Dr. Kiefer vorsorglich patentieren lassen, da es auch über die Blutzuckermessung hinaus gute Dienste leisten kann. "Wir versuchen zum Beispiel, die Konzentration hirnflüssigkeitsabhängiger Psychopharmaka über diesen Weg zu messen und wollen auch die wirksame Konzentration von Medikamenten der Augenheilkunde bestimmen", eröffnet Schrader weitere Einsatzmöglichkeiten des Systems.