Lesen und Schreiben erlernen trotz Analphabetismus

Lesen und Schreiben erlernen trotz Analphabetismus

Das Leben von Analphabeten ist oft eine einzige Ausrede. Sie denken sich alles Mögliche aus, damit ihr "Problem" nicht auffällt. Das eine zehnjährige Schulpflicht vor Analphabetismus schützt ist in Deutschland immer noch ein Irrtum.

Über vier Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. Zur Schule sind die meisten gegangen, aber ihre Lese- und Rechtschreibprobleme wurden entweder ignoriert, nicht richtig behandelt oder die Betroffenen haben sie geschickt verborgen.

Fast alle Analphabeten in Deutschland sind so genannte funktionale Analphabeten. Das heißt sie können aufgrund der Schulpflicht einzelne Buchstaben oder sogar Worte wie ihren Namen lesen und schreiben. Ihre Kenntnisse reichen jedoch nicht aus, um zum Beispiel Warnhinweise am Arbeitsplatz oder einen Elternbrief aus der Schule zu lesen. Funktionale Analphabeten sind nicht in der Lage, Schriftsprache für sich im Alltag zu nutzen.

Wer nie lesen und schreiben gelernt hat, weil er zum Beispiel - wie viele Kinder in Entwicklungsländern - nie zur Schule gegangen ist, fällt unter die Kategorie primärer Analphabetismus. Zum sekundären Analphabetismus gehören Menschen, die zur Schule gegangen sind und lesen und Schreiben wieder verlernt haben.

Funktionaler Analphabetismus schließlich ist die Unfähigkeit, die Schrift im Alltag so zu gebrauchen, wie es als selbstverständlich angesehen wird. Funktionelle Analphabeten sind Menschen die zwar Buchstaben erkennen und die ihren Namen und ein paar Worte schreiben können, die jedoch den Sinn eines Textes entweder gar nicht verstehen oder nicht mühelos genug verstehen.

Analphabetismus hat nichts mit Dummheit oder mangelnder Intelligenz zu tun. Die Ursachen für Analphabetismus sind vielschichtig und meist ein Zusammentreffen von verschiedenen Faktoren. Neben individuellen Besonderheiten spielen auch das Elternhaus und die Familiensituation eine wichtige Rolle. Erfahrungsberichte zeigen, das oft auch ihre Eltern nicht gut lesen und schreiben konnten oder oft gaben die Eltern nicht nur keine schulische Unterstützung, sondern sie hemmten das Lernen sogar durch massive Abwertung und Geringschätzung des Kindes. Aber auch soziale Schwierigkeiten in der Familie, desinteressierte und überforderte Eltern, Vernachlässigung, eine längere Krankheit, all das kann dazu beitragen, dass Kinder während der Schulzeit nicht richtig lesen und schreiben lernen.

In unserem Alltags- und Berufsleben ist es kaum möglich, auf Lesen und Schreiben zu verzichten. Deshalb sind Analphabeten ständig auf die Hilfe Dritter angewiesen. Sie brauchen Unterstützung bei der Bewältigung von Angelegenheiten im Alltag wie dem Lesen von offiziellen Briefen, Beipackzetteln, Bankautomaten, Formularen oder von Wegbeschreibungen. Fast immer bestimmen sie jemanden aus ihrem Freundeskreis zur Vertrauensperson. Diese Position schafft jedoch zwangsläufig ein Abhängigkeitsverhältnis. Funktionale Analphabeten sind Außenseiter in vieler Hinsicht: sie kommen beruflich nicht voran, nehmen kaum am öffentlichen Leben teil, sind psychisch angespannt, oft depressiv und haben oft Beziehungsprobleme. Der Teufelskreis von mangelndem Selbstwertgefühl und Unsicherheit führt immer wieder in die soziale Isolation.

Es gibt allerdings Möglichkeiten zur Alphabetisierung, so zum Beispiel Kurse an Volkshochschulen, Unterrichtsangebote und Projekte. Jeder Betroffene sollte eine Möglichkeit wahrnehmen, etwas gegen Analphabetismus zu unternehmen.