Allergie und Psyche

Alergie und Psyche - Auf den reagiere ich allergisch...

Den kann ich nicht ab, auf den reagiere ich allergisch. Nicht selten fällt ein solcher Satz im täglichen Zusammenleben. Was steckt dahinter? Gibt es tatsächlich allergische Reaktionen wie z. B. Atemnot, Hautrötungen oder Schleimhautschwellungen auf Mitmenschen? Oder lösen andere Stressreize Allergien aus? Ja, geht die weltweite Zunahme von Allergien möglicherweise einher mit der Zunahme von psychischen Erkrankungen? Professor Rainer Richter, Abt. für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätskrankenhaus Eppendorf: "Allergische Reaktionen auf Mitmenschen sind selten und haben dann wenig mit einer persönlichen Abneigung zu tun. Dagegen ist es sehr wahrscheinlich, dass bestehende allergische Erkrankungen durch psychische Faktoren ausgelöst, verstärkt oder aufrechterhalten werden können."

 

Selbst vor deutschen Scheidungsgerichten gab es Fälle, in denen Frauen eine Allergie gegen den Ehemann als Trennungsgrund angaben. Verbürgt ist der Fall einer Bäckersfrau, die sofort Atemprobleme bekam, wenn der Mann ihr nach der Arbeit zu Hause einen Begrüßungskuss gab. Der Verursacher war allerdings im eigentlichen Sinne nicht der Ehemann, sondern der Mehlstaub mit Backenzymen in seinen Haaren. Seine Ehefrau hatte gegen diese Enzyme im Laufe der Jahre eine Allergie entwickelt. Ein Kuss zur Begrüßung und schon waren die Enzyme über die Schleimhäute in die Atemwege gelangt. Der vorherige Gang unter die Dusche hätte hier leicht Abhilfe geschaffen und den Weg zum Scheidungsrichter erspart. Bevor man einen Partner als "Allergen" einstuft, sollte man daher dringend einen Facharzt für Allergologie aufsuchen.

 

Allergische Reaktionen beim Sex?

 

Eine sorgfältige Abklärung der wirklichen Ursachen gilt insbesondere auch für allergische Reaktionen beim Sex. Die viel zitierte klassische Allergie von Frauen auf Sperma ihres Partners ist äußerst selten. Als echte Sperma-Unverträglichkeiten sind nur etwa 50 Einzelfälle publiziert worden. Wesentlich häufiger konnten in der Samenflüssigkeit bekannte Allergene wie Penicillin oder Nahrungsbestandteile, z. B. aus Nüssen oder Cola nachgewiesen werden. Die meisten Frauen mit allergischen Reaktionen auf Bestandteile des Spermas sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Professor Johannes Ring, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie: "Etwa 40 Prozent der Überempfindlichkeitsreaktionen gegen Sperma treten bereits nach dem ersten Geschlechtsverkehr auf. Über die Hälfte der betroffenen Frauen haben auch andere allergische Symptome wie Heuschnupfen, atopisches Ekzem oder Asthma."

 

Viel häufiger verstecken sich hinter einer vermeintlichen Spermaallergie vor dem Verkehr aufgesprühte Parfüms, Seifenprodukte oder Gleitcremes mit allergenen Bestandteilen. Wer beim Sex mit einem Partner unter allergischen Reaktionen leidet, sollte zunächst auch an ganz bekannte Allergene denken. Wer z. B. unter einer Hausstaubmilben- oder Tierhaarallergie leidet, sollte bei neuen Partnern in deren Wohnung dieser Möglichkeit Rechnung tragen. Wer auf Gräserpollen oder Schimmelpilzsporen reagiert, sollte sich für die Liebe nicht gerade einen Heuschuppen aussuchen. Nicht selten ist auch die sogenannte Latexallergie. Kondome, aber auch die latexsafthaltige Modepflanze Ficus benjamina im Umfeld eines Schlafzimmers können zu allergischen Reaktionen führen. Prof. Ring: "Allergische Reaktionen beim Sex haben meistens eine bekannte Ursache. Der Betroffene sollte die auftretenden Probleme beim erfahrenen Allergologen sofort abklären lassen. In den allermeisten Fällen kann sehr schnell geholfen werden." Auf jeden Fall besteht bei betroffenen Allergikern kein Grund zur Panik, vielmehr ist Auf- und Abklärung gefragt. Dies gilt auch für allergiekranke Jugendliche. Allergien bei Jugendlichen haben in den letzten Jahren besonders stark zugenommen. Eltern sollten mit den allergiegeplagten Teenagern über das Thema Sex und Allergie reden, wenn Probleme vermutet werden. Allerdings sollte man sehr einfühlsam vorgehen, denn verliebte Jugendliche reagieren möglicherweise sensibel, wenn man nur über theoretische Risiken redet, ohne dass bisher eine entsprechende Erfahrung gemacht wurde. Schlimmer wäre es jedoch, wenn allergiekranke Teenager sich verängstigt und isoliert fühlten. Der Besuch eines Allergologen, möglicherweise unter Hinzuziehung eines Psychologen, ist dann dringend angeraten, um die auftretenden Probleme abzuklären.

 

Psychische Faktoren und Allergie

 

Der scheinbare Zusammenhang zwischen dem gleichzeitigen Anstieg von Allergien und psychischen Erkrankungen in der westlichen Welt ist nach überwiegender Expertenmeinung ein statistisches Zufallsprodukt. Er ist vergleichbar mit dem gleichzeitigen Rückgang der Storchenpopulationen und der Anzahl der Babys in verschiedenen Ländern: Statistisch signifikant, aber ohne kausalen Zusammenhang. Bisher gibt es keine schlüssigen Hinweise dafür, dass psychische Erkrankungen Allergien auslösen. Dagegen gibt es eindeutige Beweise dafür, dass allergische Reaktionen zu stärkeren Beschwerden führten, wenn der Betroffene gleichzeitig psychischen Problemen ausgesetzt war. Prof. Richter: "Allergische Patienten reagierten dann stärker mit Heuschnupfen, wenn sie während der Pollenzeit mit Konflikten konfrontiert waren." Auch der Krankheitsverlauf der Neurodermitis kann durch subjektive Stressfaktoren wie sozialer Stress oder negative Reaktionen von Mitmenschen verschlechtert werden. Darüber hinaus wurde in größeren Stichproben herausgefunden, dass Asthma-Anfälle in über der Hälfte der Fälle nicht nur von Allergenen oder physikalischen Reizen, sondern durch emotionale Faktoren ausgelöst wurden. Nach heutigem Wissensstand wird das Auftreten allergischer und asthmatischer Beschwerden durch psychische Faktoren begünstigt oder verstärkt. Außerdem kann die Allergie-Erkrankung selbst zu psychischen Problemen führen. Neben einer adäquaten Therapie, noch immer gelten in Deutschland nur 10 Prozent der allergiekranken Patienten als optimal versorgt, rückt also die Beachtung psychosozialer Folgen allergischer Erkrankungen in den Mittelpunkt der ärztlichen Fürsorge. Die Auswirkungen von Allergien auf Partnerbeziehungen, Familie, Freizeit, Schule und Arbeit, auf die Lebensqualität insgesamt, müssen endlich ernst genommen werden. Sonst gibt es bei dieser Volkskrankheit einen sich gegenseitig verstärkenden Effekt aus allergischen und psychischen Faktoren: Ein Teufelskreis.