Über den Mund in die Lunge

Über den Mund in die Lunge

Volker Pawel holt das Gerät aus einer Tasche, es ist nicht größer als ein Brillenetui. Er schiebt ein flaches Blättchen in den dafür vorgesehenen Schlitz, baut mit einem Pumpengriff Druck auf. Nachdem er auf einen blauen Knopf gedrückt hat, setzt sich ein weißer Nebel in der Kammer des Geräts frei. Volker Pawel umschließt das Mundstück und atmet den Nebel mit einem langsamen und tiefen Atemzug durch den Mund ein.

Der 58-Jährige aus Seevetal bei Hamburg ist einer von etwa 6 Millionen Menschen in Deutschland, die an Diabetes erkrankt sind. Er selbst leidet an Typ-2-Diabetes und benötigt eine Insulintherapie zur bestmöglichen Einstellung seiner Blutzuckerwerte.

Den Umstand, dass er sich das Insulin nicht spritzen muss, verdankt er einer medizinischen Innovation. Seit Mai dieses Jahres gibt es für Menschen mit Diabetes erstmalig eine Alternative in der Insulintherapie: inhalatives Insulin. Statt sich das Präparat mit einem Pen oder einer Spritze zuführen zu müssen, kann Volker Pawel es mit Hilfe eines speziellen Inhalationsgerätes inhalieren. Dafür führt er eine Dosierungseinheit, den so genannten Blister, in seinen Inhalator ein, löst Druck aus und atmet dann die Insulinwolke ein. Einmal inhaliert, wandern die Insulinpartikel rasch in die unteren Atemwege, wo sie über die Lungenbläschen (Alveolen) ins Blut aufgenommen werden. Dort werden sie zu den Körperzellen transportiert, wo sie ihre Wirkung entfalten.

In der neuen Therapie sieht Dr. Karin Schlecht, Diabetologin mit eigener Praxis in Eisenach, eine bedeutende Chance, Patienten, die eine Insulintherapie dringend benötigen, den Einstieg zu erleichtern: "Im Laufe der Jahre wird bei Patienten mit Typ-2-Diabetes die Produktion und auch die Ausschüttung von Insulin immer weniger. Das Insulin muss von außen zugeführt werden, und dieser Schritt war bis jetzt nur möglich, indem man das Insulin spritzte. Aber davor haben ganz viele Patienten Angst. Angst davor, was nun alles auf sie zukommt, wie das geht und ob das weh tut und so weiter. Mit dem Insulin zum Einatmen, mit dieser Chance, Insulin nicht spritzen zu müssen, denke ich, kann man die Patienten sehr viel früher von einer Insulinbehandlung überzeugen." Auch die Handhabung des Inhalationsgerätes bewertet sie nach den Erfahrungen mit ihren Patienten positiv: "Man braucht eine gewisse praktische Fertigkeit, aber die Patienten haben keine Probleme bei dem Umgang mit dem Gerät gehabt. Bei den Patienten, die ich beobachten konnte, waren die praktischen Fertigkeiten alle da, und beim Spritzen benötigt man ja auch gewisse praktische Fertigkeiten. Auch das Laden mit den Blistern ging sehr zügig und schnell."

In der Tat sind die Bedenken und Barrieren vor der Spritze bei den betroffenen Patienten ein häufiger Grund, warum sie eine Insulintherapie ablehnen oder über Jahre hinaus zögern. Wenn Sport, eine Ernährungsumstellung oder die Behandlung mit oralen Antidiabetika (Tabletten) nicht mehr ausreichen, um die Blutzuckerwerte zu kontrollieren, ist die Gabe von Insulin allerdings meist der einzige Weg zu einer befriedigenden Blutzuckereinstellung. Wird die Behandlung nicht rechtzeitig in Angriff genommen, riskieren die Patienten schwerwiegende Folgeerkrankungen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Nieren- und Augenerkrankungen.

Für Volker Pawel ist die Behandlung mit inhalativem Insulin eine Option, mit der er nach eigener Aussage "gerne alt werden würde": "Es hat etwas gedauert, bis die richtige Dosierung gefunden war. Mittlerweile bin ich gut eingestellt. Die Bedienung des Inhalationsgerätes klappte von Anfang an." Auch seine Erwartungen bezüglich der Lebensqualität haben sich voll erfüllt: "Ich komme gut mit der Therapie klar, habe weder im Arbeitsleben noch im privaten Bereich Probleme. Meine Frau und ich machen sogar Fernreisen, kürzlich waren wir in Thailand. Es ist einfach ein sehr gutes Gefühl, wenn die Werte im grünen Bereich sind."